Was ist Ergotherapie? Von Lena Machetanz, Ärztin
Die Ergotherapie ist eine medizinische Behandlungsform, die Menschen mit eingeschränkter Handlungsfähigkeit unterstützt. Ihr Ziel ist es, Patienten eine bessere Bewältigung von Alltagstätigkeiten zu ermöglichen. Lesen Sie alles über den Ablauf der Ergotherapie, wann sie hilfreich ist und welche Risiken sie mit sich bringt.
Was ist Ergotherapie?
Die Ergotherapie ist eine Therapieform, die kranke oder verletzte Menschen bei der Bewältigung ihres Alltags unterstützt. Sie soll es dem Patienten ermöglichen, sich möglichst weitgehend selbst zu versorgen, an der Gesellschaft teilzuhaben und so eine besserte Lebensqualität zu gewinnen.
Durchgeführt wird die Ergotherapie von speziell ausgebildeten Ergotherapeuten. Diese arbeiten stets ganzheitlich und berücksichtigen nicht nur die krankheitsbedingten Einschränkungen des Patienten, sondern auch soziale und finanzielle Faktoren. Zusammenfassen lassen sich folgende Ziele der Ergotherapie:
Indikationsschlüssel
Ergotherapie muss als therapeutische Maßnahme von einem Arzt verordnet werden. Der sogenannte Indikationsschlüssel, eine Buchstaben- und Zahlenkombination, die der Arzt auf dem Rezept angibt, bezeichnet den medizinischen Grund für den Einsatz der Ergotherapie. Fehlende Angaben darf der Therapeut gar nicht beziehungsweise nur in Absprache mit dem Arzt ergänzen.
Geschichte der Berufsbezeichnung
Am 01. Januar 1999 trat das Gesetz "Gesetz über den Beruf der Ergotherapeutin und des Ergotherapeuten (Ergotherapeutengesetz - ErgThG)" in Kraft. Damit wurde die bis dahin offizielle Berufsbezeichnung "Beschäftigungs- und Arbeitstherapeut" abgelöst. Allerdings wird der Begriff "Beschäftigungstherapie" zum Teil auch heute noch als Synonym für Ergotherapie verwendet. Der Beruf des Arbeitstherapeuten beziehungsweise Arbeitserziehers ist ein eigenständiger Ausbildungsberuf.
Der Begriff Ergotherapie wurde bereits deutlich früher geprägt. Er stammt vom griechischen Wort "érgon" ab. Wörtlich übersetzt bedeutet das so viel wie Arbeit, Werk, Handwerk, Tätigkeit oder Beschäftigung.
Wann führt man eine Ergotherapie durch?
Ergotherapie wird als hilfreiche, unterstützende Maßnahme zum Beispiel in der Altersmedizin, der Kinder- und Jugendmedizin, aber auch in der Psychiatrie und Orthopädie durchgeführt. Sie dient unter anderem dazu, den Patienten die Wiederaufnahme einer beruflichen Tätigkeit zu ermöglichen.
Ergotherapie in der Orthopädie und Rheumatologie sowie nach Unfällen
Folgende Erkrankungen des Bewegungsapparates beschränken Patienten im Alltag und bedürfen daher gegebenenfalls einer Ergotherapie:
Ergotherapie in der Neurologie
Patienten mit Erkrankungen des Nervensystems sind häufig erheblich in ihrer Handlungsfähigkeit eingeschränkt. Beispiele für neurologische Erkrankungen, bei denen ergotherapeutische Behandlungen helfen können sind:
Ergotherapie in der Psychiatrie
In der Psychiatrie profitieren zum Beispiel Patienten mit folgenden Krankheiten von einer ergotherapeutischen Behandlung:
Ergotherapie in der Altersmedizin
Gerade alternde Menschen sind oft durch den Altersprozess selbst, als auch durch Krankheiten (Multimorbidität) in ihrer Selbstständigkeit eingeschränkt. Soziale Vereinsamung oder fehlende Aufgaben schränken die Lebensqualität älterer Menschen zusätzlich ein. Plötzliche Veränderungen wie zum Beispiel der Tod des Lebenspartners oder ein Verlust der gewohnten Umgebung kann diese Tendenz noch verstärken und die Patienten erheblich belasten. Ergotherapeutische Maßnahmen unterstützen hier bei der Gewöhnung und Anpassung an sich verändernde Lebensumstände. Auch bei Erkrankungen mit Wesensveränderung und Gedächtnisproblemen setzt man Ergotherapie ein, bei Demenz zum Beispiel.
Ergotherapie bei Kindern
Gerade bei Kindern ist eine frühe Entwicklungsförderung immer sinnvoll. Zu langes Abwarten kann auffällige oder ungesunde Verhaltensweisen verstärken. Auch die Eltern sollten darin geschult werden, ihr Kind bei einer altersgerechten Entwicklung zu unterstützen. Folgende Krankheitsbilder im Kindesalter machen eine Ergotherapie notwendig:
Was macht man bei einer Ergotherapie?
Grundsätzlich gliedert sich der Therapieprozess der Ergotherapie in drei Schritte:
Evaluation (Befunderhebung und Definieren eines Ziels)
Intervention (Planung einer Behandlung und deren Durchführung)
Outcome (Bewertung der Therapieergebnisse)
Hat der Ergotherapeut die Situation des Patienten bewertet und gemeinsam mit ihm die Therapieziele vereinbart, wählt er eine für die Intervention geeignete Therapiemethode. Dabei stehen ihm folgende Ansätze zur Verfügung:
Kompetenzzentriert alltagsrelevante Methoden
Die kompetenzzentrierte Ergotherapie ist eine der häufigsten Ansätze. Der Patient soll sich dabei verloren gegangene Fertigkeiten mit Unterstützung des Ergotherapeuten wieder erarbeiten. Dazu gehören handwerkliche Tätigkeiten wie Sägen, Nähen und Korbflechten, aber auch Tätigkeiten zur Alltagsbewältigung und Freizeitgestaltung wie Kochen, Spiele oder Behördengänge. Des Weiteren kommen Übungen und Spiele, die die Gedächtnisleistung trainieren zum Einsatz.
Subjektbezogen ausdruckszentrierte Methoden
Bei diesem Therapieansatz soll der Patient lernen, innere Empfindungen gestalterisch auszudrücken und sich selbst für sein Befinden zu sensibilisieren. Der Ergotherapeut lässt die Patienten hier malen oder basteln, entweder alleine oder in einer Gruppe. Meist gibt er dazu auch ein Thema vor. So bittet er zum Beispiel einen depressiven Patienten, ein Bild mit Farben zu gestalten, die für ihn Freude bedeuten.
Interaktionelle Methoden
Dieser Therapieansatz wird eingesetzt, um Patienten anzuregen, sich mit anderen Mitmenschen auseinanderzusetzen und das Miteinander in einem sozialen Gefüge zu fördern. Die interaktionelle Ergotherapie findet daher natürlicherweise in Partner- oder Gruppenarbeit statt. Der Ergotherapeut stellt hier der Gruppe eine Aufgabe, zum Beispiel ein gemeinsames handwerkliches Projekt oder ein Rollenspiel. Dann beobachtet er die Gruppe in der Arbeitsphase: Wie werden Konflikte gelöst? Wer sucht sich welche Rolle in der Gruppe? Wie kommunizieren die Patienten miteinander? Im Anschluss reflektiert der Therapeut den Arbeitsprozess gemeinsam mit den Patienten und arbeitet ihn auf.
Wahrnehmungsbezogen handlungsorientierte Methoden
Hier vermittelt der Ergotherapeut dem Patienten seine Sinnes- und Körperwahrnehmungen. Hilfreich sind ganz einfache Übungen wie zum Beispiel das Massieren der Hände mit einem „Igelball“, das Tasten und Erkennen von Materialien, Vibrationsempfindungen oder Wärme- und Kälteerlebnisse im Wasserbad. Durch diese neuen Erfahrungen soll der Patient lernen, bewusst Sinneserlebnisse aufzunehmen und richtig einzuordnen. Dieser Therapieansatz wird vor allem bei psychiatrischen Patienten oder Kindern mit Entwicklungsstörungen eingesetzt.
Ergotherapeutische Gruppenbehandlungen
Manche Maßnahmen der Ergotherapie werden in Rahmen von Gruppenbehandlungen durchgeführt. Dabei können beispielsweise Inhalte, die in der Einzeltherapie erarbeitet wurden, in der Gruppe ausprobiert und trainiert werden. Dazu gehören etwa Übungen von Alltagskompetenzen, aber auch Übungen zum Hirnleistungstraining für Menschen mit entsprechenden Störungen oder Demenzerkrankungen. Trainiert werden:
Welche Risiken birgt eine Ergotherapie?
Die Ergotherapie ist grundsätzlich nicht mit besonderen Risiken verbunden. Gesundheitliche Probleme treten in der Regel nur auf, wenn der Patient stärker durch die ergotherapeutischen Übungen belastet wird, als ihm zuzumuten ist.
Zu hohe Anforderungen des Therapeuten oder unrealistische Erwartungen der Patienten können rasch zu Frustrationen führen. Bei Überforderungen lassen sich Patienten nur schwer motivieren, daher sollten in einem solchen Fall die Behandlungsziele gemeinsam mit dem Patienten neu festgelegt werden.
Was muss ich nach einer Ergotherapie beachten?
Hat Ihr Arzt Ihnen eine Ergotherapie verordnet, wird er meist auch einen geeigneten Ergotherapeuten empfehlen können. Bedenken Sie, dass der Behandlungserfolg maßgeblich von Ihrer Mitarbeit abhängt. Versuchen Sie daher, die Übungen motiviert und offen anzugehen, auch wenn es manchmal Überwindung kostet.
Sprechen Sie regelmäßig mit Ihrem Ergotherapeuten über Ihre Wünsche, Ziele und Ängste – nur so kann er die Behandlung Ihren individuellen Vorstellungen anpassen. Häufig können Sie die Übungen, die Ihnen der Ergotherapeut gezeigt hat, auch außerhalb der Sitzungen ausprobieren und weiter trainieren. Achten Sie dabei darauf, Ihre persönliche Belastungsgrenze nicht zu überschreiten. Setzen Sie sich stattdessen kleine Ziele, die Sie mit der Ergotherapie weiter ausbauen können. Datum : 21. August 2020
Wissenschaftliche Standards:
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern geprüft. Autorin: Lena Machetanz
Quellen:
Bährle, R. J.: Praxisrecht für Therapeuten: Rechtstipps von A bis Z, Springer Verlag, 2010.
Becker, H. & Steding-Albrecht, U.: Ergotherapie im Arbeitsfeld Pädiatrie, Georg Thieme Verlag, 2. Auflage, 2015.
Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz: "Gesetz über den Beruf der Ergotherapeutin und des Ergotherapeuten (Ergotherapeutengesetz - ErgThG)", unter: www.gesetze-im-internet.de (Abrufdatum: 21.08.2020)
Habermann, C. & Kolster, F.: Ergotherapie im Arbeitsfeld Neurologie, Georg Thieme Verlag, 2. Auflage, 2008.
Koesling, C. & Bollinger Herzka T.: Ergotherapie in der Orthopädie, Traumatologie und Rheumatologie, Georg Thieme Verlag, 2011.
Kubny-Lüke, B.: Ergotherapie im Arbeitsfeld Psychiatrie, Georg Thieme Verlag, 2. Auflage, 2009.
Online-Informationen des Deutschen Verband der Ergotherapeuten e. V., unter: www.dve.info (Abruf: 21.08.2020)
Steding-Albrecht, U. & Jehn, P.: Ergotherapie: Vom Behandeln zum Handeln, Georg Thieme Verlag, 5. Auflage, 2015.